Sonntag, 12. April 2015

Chandos Brief - Hugo von Hofmannsthal

http://www.abiunity.de/thread.php?threadid=27515&sid=   Lernzettel daraus übernommen!

Hugo von Hofmannsthal: Brief des Lord Chandos an Francis Bacon(1902)

Prosastück

-Thema:
Sprachkrise
Ich-Krise [17. Jh: Mensch fängt an, an überkommenden Gegebenheiten zu zweifeln, Weltbild gerät ins Wanken]
kulturelle Krise (Epochenumbruch, Jahrhundertwende)

-Erzähler:
Lord Chandos, 26 Jahre, fiktiveGestalt
schreibt an seinen „alten Freund“ den Naturwissenschaflter und Philosophen Francis Bacon (reale historische Figur) datiert auf den 22.08.1603

Lord Chandos entschuldigt sich bei seinem Freund Francis Bacon dafür, dass er sich seit 2 Jahren nicht mehr literarisch betätigt hat. In seinem Brief versucht Lord Chandos die Ursachen für seinen Verzicht auf literarische Tätigkeiten zu erläutern.

-Aufbau:
Einleitungsformel
Motivation für das Entstehen wird umrissen,
Erklärung für das Schweifen
Gliederung in 4 Abschnitte
1.) Vergangenheit; literarische Erfolge und Pläne (Alter:19-24 Jahre)
2.) Umschlag und Krisenverlauf
3.) Offenbarungen/Erkenntnisse
4.) Gegenwart, alltägliches Leben nach der Krise
Abschied von literarischer Betätigung und Bacon

Rahmen = Einleitungsformel & Abschied

Zu 1.)
(Um-)welt wird ganzheitlich, als Einheit, erfahren
Einheit von Körper, Geist, Seele, Natur
Sprache kann diese Welt erfassen und zum Ausdruck bringen
Form hat große Bedeutung
starkes Ordnungs- und Ausdrucksverlangen

zu 2.)
Krise wird als Sprach- und Denkverfall beschrieben & bedeutet den Verlust des Ordnen des Zsmhangs
formende Kraft der Form steht nicht mehr zur Verfügung
traumatische Erfahrungen
versteht seine eigenen Werke/Vergangenheit nicht mehr, sind ihm fremd, kann keine Verbindung zu Vergangenem aufbauen
innere Leere
erfährt sich als Individuum isoliert


-historische Einordnung
Orientierungslosigkeit ’ Sprachverlust
Krise (Sprachnot): unfähig Geschehenes auszudrücken

Epochenumbruch“; Beginn der MODERNE
Industrialisierung vom 18. aufs 19. JH
Folgen Industrialisierung:
Verstädterung
vertrautes kleines Reich geht verloren ’ Angst, da man seine Umgebung nicht mehr beherrscht „keine Heimat mehr“ ’ Umgebung wird fremd
=> Individuum fühlt sich allein, auf sich gestellt; Anonymität, Orientierungslosigkeit, erfährt dies als gefährlich
wer dies nicht bewältigen kann: Feindseligkeit, Ausschluss aus Gesellschaft
beschleunigtes Leben (Alltag, Umwelt, Arbeitsleben)
Fortbewegung
Beginn Zeitalter Auto
Massenproduktion (Fließband um 19. Jh, Chemie gewinnt an Bedeutung)
„Mensch vom Takt der Maschine erfasst“, Maschinen geben Tempo vor
=> Beschleunigung ergreift fast alle Lebensbereiche
’ Veränderungen im Arbeitsleben, vor allem im Mittelstand
’ Veränderung von Normen
wilhelminische Gesellschaft beginnt sich aufzulösen
es gibt keine durch den Stand & Weltanschauung gegebene Sicherheit mehr
’ Mensch muss sich seinen Rang selbst erarbeiten
=> Depression, Überforderung
vor allem die Generation von sehr jungen Menschen wird davon erfasst
’ mündet 1914 in den 1. WK
=> Epochenumbruch als existenziell bedrohlich empfunden
Stilrichtungen existieren nebeneinander, lösen sich extrem schnell ab
die Krise um 19hundert der festen Bezüge gibt es auch in der Religion (geistig)
Philosoph Nitzsche als Schlüsselfigur dieser Zeit, stellt Religion in Frage „Gott ist tot“, rational: Religion nur da, um sich an etwas zu klammern, das Verstand nicht erklären kann
heftige Kulturkritik

Brief enthält autobiografische Züge Hofmannsthals:
Hofmannsthal schrieb Brief mit 28 Jahren, fiktiver Erzähler Lord Chandos ist 26 Jahre alt, als er ihn schreibt
Brief von Hofmannsthal 1902 geschrieben, von Lord Chandos 1603 geschrieben

-Sprache:
unterscheidet Mensch von Tier (sehr abstrakt, hat eine Grammatik)
dient der Erschließung und Aneignung/Erfassen der Welt & der Formulierung des Selbstverständnisses
Mensch kann sich durch Sprache eigenes Selbst erschließen (’ Wer bin ich?)
=> Zsmhang zwischen Denken & Sprache (wenn man über etw nachdenkt, tut man dies in Sprache)
Mathe/Zahlen sind auch eine Sprache
’ Mensch wird durch Sprache Mensch
Inhalt:

Erzähler des Briefes ist der fiktive Philipp Lord Chandos, der hier als 26-jähriges Dichtergenie im Jahre 1603 an seinen älteren Mentor schreibt, den Philosophen und Naturwissenschaftler Francis Bacon.
Der junge Poet kann auf ein hoch gelobtes Frühwerk zurückblicken; nun aber, nach „zweijährigem Stillschweigen“, bezweifelt er, noch derselbe zu sein wie der Verfasser seiner Gedichte.
Er spricht von einem „brückenlosen Abgrund, [der ihn von seinen Dichtungen trenne,] und die ich, so fremd sprechen sie mich an, mein Eigentum zu nennen zögere.“
Sein früheres Verständnis von Dichtung (Poetik) beschreibt Lord Chandos zunächst so: Kern seiner Dichtung war die Form, „die Erkenntnis der […] tiefen, wahren, inneren Form, die jenseits des Geheges der Kunststücke erst geahnt werden kann, daß sie das Stoffliche anordne, denn sie durchdringt es, sie hebt es auf und schafft Dichtung und Wahrheit zugleich […]. Dies war mein Lieblingsplan.“ (462) – „Mir schien damals in einer Art von andauernder Trunkenheit das ganze Dasein als eine große Einheit: geistige und körperliche Welt schien mir keinen Gegensatz zu bilden, ebensowenig höfisches und tierisches Wesen, Kunst und Unkunst“ (463f); „es ahnte mir, alles wäre Gleichnis und jede Kreatur ein Schlüssel der andern“ (463).
Doch diese Poetik ist nun Vergangenheit.
Es gibt keine Einheit mehr zwischen Natur und Kunst, Körper und Seele oder Sprache und Empfindung.
Diese Einheiten sind dauerhaft zerrissen. „Mein Fall ist in Kürze dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. […] Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte 'Geist', 'Seele' oder 'Körper' nur auszusprechen, [denn] die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze“ (465).
Es gelingt ihm nicht mehr, sich zu einfachsten Gegenständen zu äußern; er flieht vor der Gesellschaft. „Mein Geist zwang mich, alle Dinge, die in einem […] Gespräch vorkamen, in einer unheimlichen Nähe zu sehen […]. Es gelang mir nicht mehr, sie mit dem vereinfachenden Blick der Gewohnheit zu erfassen. Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich“ (466). Es gelingt Chandos nicht mehr, die Welt durch Sprache zu ordnen. Die Wörter werden ihm zu „Wirbeln, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt“ (466).
Die Empfindungen dagegen werden ihm um so größer, erhabener, ergreifender. Kein Wort hat mehr die Fähigkeit, die „sanft und jäh steigende() Flut göttlichen Gefühles“ (467) zu erfassen. Das „Fluidum [oder] Hinüberfließen“ (468)der Empfindung zum Objekt der Empfindung löst auch die Grenzen des Subjektes auf. Subjekt und Sprache waren eine Einheit; nun sind sie in Auflösung begriffen. Der Sprachlosigkeit folgt die innere Leere, die „Gleichgültigkeit“ (470).
Denn die heftige Empfindung muss stumm bleiben: „(D)as Ganze ist eine Art fieberisches Denken, aber Denken in einem Material, das unmittelbarer, flüssiger, glühender ist als Worte. Es sind gleichfalls Wirbel, aber solche, die nicht wie die Wirbel der Sprache ins Bodenlose zu führen scheinen, sondern irgendwie in mich selber und in den tiefsten Schoß des Friedens.“ (471) Die Konsequenz für Chandos ist, das Schreiben ganz aufzugeben.

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